Regular people

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oder auch: Tact Filter weitergedacht. In den diversen Blogposts zu Open Social ((Open Social ist übrigens eine Erweiterung der Google Gadget API und als solches erstmal weder besonders offen noch besonders sozial.)) gab es einen relativ interessanten Eintrag von Anil Dash im Six Apart-Blog:
But more importantly, OpenSocial has the promise of letting regular people choose which social networks they want to run those applications on.
Soll heißen: durch diese Technik wird es normalen Menschen ((Mir gefällt das Wort normal hier auch nicht als Übersetzung von regular. Aber etwas besseres ist mir einfach nicht eingefallen.)) erlaubt, Dinge zu tun, die bislang primär Menschen mit IT-Wissen vorbehalten waren - nämlich eine rudimentäre Kontrolle und eine Einsicht darüber zu haben, was mit den Daten und Anwendungen passiert, die sie innerhalb eines Social Networks nutzen. Brian Oberkirch passt die Bezeichnung regular people nicht:

But the creation of a phantom category called ‘regular people’ is inaccurate at best and, more likely, condescending. It smacks of GOP phrase testing, pitting technical elites against the red-blooded Americans, who, by God, just get up and try to do an honest day’s work every day as they listen to Toby Keith in their Ford pickups on the way to grab a sack of hamburgers to feed the young uns.

Regular people aren’t.

Zurecht weist es darauf hin, daß es normale Menschen in dieser Form eigentlich nicht gibt. Jeder Mensch hat mindestens einen Aspekt in seinem Leben, bei dem er vom Durchschnitt abweicht, an dem er auf der Long Tail ((Es ist übrigens ganz lustig, kaum einer der klugen Menschen, die über den Long Tail und dessen Effekt auf ihre tollen Webdienste reden, scheint das Buch gelesen oder gar verstanden zu haben. Gruß nach Berlin aufs Barcamp an dieser Stelle.))-Kurve nicht irgendwo im Mainstream sondern entlang der Kurve irgendwo im Speziellen und Obskuren zu finden sind. ((Oder beides. Es gibt Leute, die lesen Spreeblick und es gibt Leute, die lesen Lostfocus. Außerdem gibt es Leute, die lesen beides. Es ist jetzt der Phantasie des Lesers überlassen, wer davon jetzt normal ist und wer nicht.)) Interessant wird der Begriff regular people aber dann, wenn man ihn aus dem Context der IT löst und feststellt, daß fast jeder sich und seine Subkultur diesen normalen Menschen gegenüberstellt. Da haben wir nun also auf der einen Seite die IT-Menschen - Entwickler, early adopters und andere Geeks - und auf der anderen Seite die regular people, die "einfach nur Mails schreiben und ein bißche surfen" wollen. Das gleiche Muster gibt es aber auch anderswo: für Heavy Metal-Fans sind es die Leute, die Popmusik hören. Für Freelancer die Leute mit Festanstellung. Jede Sub- oder auch Nischenkultur, egal wie groß oder klein, wird immer einer Mehrheit entgegen stehen, die in der Masse auf diesen Aspekt gesehen uniform zu sein scheinen und dadurch zu regular people werden. Um jetzt den Bogen zum Tact Filter ((Die Tact Filter-Theorie sagt im Grunde genommen: Nerds filtern Input auf verletztende Dinge, filtern den Output aber kaum, normale Menschen machen dies umgekehrt.))zu spannen - ähnlich wie bei ihm ist die Abwesenheit eines Filters für ausgehende Nachrichten ein ziemlich klarer Indikator für massives Nerdtum. Jargonausdrücke und Insiderwitzchen sind schön und gut, wenn man sie innerhalb der eigenen Nische nutzt, man sollte aber schon merken, wann man es mit Menschen zu tun hat, die das Wissen über und das Interesse an diesem Fachbereich nicht teilen und die Sprache dementsprechend anpassen. Dieser "Regular People-Filter" macht das Zusammenleben in einer Gesellschaft, die sich immer mehr aus Parallelkulturen zusammensetzt, einfacher und vor allem auch für jeden angenehmer. Ich möchte damit jetzt nicht für eine allgemeine Verdummung eintreten und jedem empfehlen, nur noch so zu kommunizieren, daß es möglichst mainstreamig ist - im Gegenteil. Ich sehe es eher so wie auch Chris Anderson:
Rather than the scary fragmentation of our society into a nation of disconnected people doing their own thing, I think we're reforming into thousands of cultural tribes, connected less by geographic proximity and workplace chatter than by shared interests.
Diese cultural tribes mit ihrem Jargon, dem spezialisierten Wissen und Gepflogenheiten sind ein Teil der Vergeekung ((Ganz fiese Wortschöpfung. Ich weiß.)) der Gesellschaft, der ich nur zustimmen kann. Das Suhlen in Insidergesprächen und -witzen innerhalb dieser Stämme stärkt die Zusammengehörigkeitsstrukturen und damit auch die Mitglieder, den Schritt von der Vergeekung zur Vernerdung ((Ich höre gleich auf, versprochen.)) kann aber dadurch verhindert werden, daß man lernt, "regular people" außerhalb der eigenen Nische zu erkennen und die Sprache und Manirismen im Umgang mit ihnen anzupassen. Letztendlich sollte es gesunder Menschenverstand sein, als Entwickler einen Mediziner nur bei Interesse und in weniger technischen Worten die Vorteile von REST-APIs zu erklären ((Ja, das geht.)) - schließlich kann man umgekehrt Bettnässerwitze auch besser verstehen, wenn nicht ständig von Enuresis nocturna die Rede ist.

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from The Nerd Handbook on November 12, 2007 10:38 AM

6 Comments

Thumbs up ! Danke der / Deiner Worte !
"Diese cultural tribes mit ihrem Jargon"
geht aus meiner Sicht am wahrem Leben
mit grossen Schritt vorbei, achtet selbiges nicht einmal eines interessierten Blickes . . .

Huch, da habe ich mich wohl nicht verständlich genug ausgedrückt.
Eigentlich wollte ich sagen, daß jeder Mensch zu mindestens einem dieser Tribes gehört. Zumindest wäre mir noch niemand begegnet, bei dem das nicht so wäre.

Und das "wahre Leben" - und über den Ausdruck und meiner Sicht darauf könnte ich wohl noch so einen langen Artikel schreiben - was ist das schon?

Ist es normal, dass es mir peinlich ist, wenn meine Kumpels keinen "Regular People-Filter" besitzen und ohne diesen auf "reguläre" weibliche Wesen losgelassen werden?

Vielleicht gehörst Du ja auch nur in die kleine Gruppe von Menschen, denen es peinlich ist? :)

Aber es ist schon immer auffällig, wieviele Leute ohne diesen Filter durch die Welt spazieren. Oftmals, weil sie wohl noch von dem Konzept der parallelen Kulturen überfordert sind.

@Dominik - zum einen habe auch ich mich sicherlich in gekuerzter Form etwas abwegig ausgedrueckt, denn, diesen Blick teile ich mit Dir, jeder hat einen solcher "Tribes" .
Zum anderen kannst Du, ebenfalls mit Sicherheit, zwei Artikel verfassen betreffs des Themas “wahres Leben” oder "normale Leben" . Beginnend mit der im gedachten Raum stehenden Frage : IST ES NORMAL, WENN ES ALLE TUN ? :))

Oder auch: Müssen es alle tun, nur weil es normal ist?

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This page contains a single entry by Dominik Schwind published on November 3, 2007 11:23 AM.

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